Unser Projekt “Me, myself & my avatars (or remapping the homunculus)” beschäftigt sich mit der Bedeutung von Avataren in der virtuellen Realität und möchte die Chancen und Grenzen ausloten, die in ihrer Nutzung liegen. Es geht dabei zentral um die Erweiterbar- und Veränderlichkeit des Homunkulus, einer im Neurokortex verorteten Kartierung der vom Körper erlebten Bewegungen und Empfindungen. Diese Kartierung ist nicht nur verzerrt, da die Körperregionen mit mehr Nervenenden oder Verbindungen im Gehirn größer abgebildet werden, als die weniger empfindsamen. Sondern man weiß auch seit langem, dass sie veränderlich ist. Wenn zum Beispiel eine Gliedmaße verletzt oder amputiert wird, verschieben sich die korrespondierenden Regionen im Homunkulus auf andere Körperteile.
Diese Fähigkeit des menschlichen Gehirns nennen Jaron Lanier et al. „homunkuläre Flexibilität“ (vgl. Lanier, Jaron: Anbruch einer neuen Zeit: Wie Virtual Reality unser Leben und unsere Gesellschaft verändert (2018), S. 192 ff.) und sie ermöglicht uns nicht nur, uns in der VR überhaupt mit dem Körper eines Avatars zu identifizieren. Die Erforschung der homunkulären Flexibilität verbindet Erkenntnisse aus der Psychologie, der Neurowissenschaft, der Philosophie und der Informatik und stellt die These auf, dass der Homunkulus darüber hinaus Körper adaptieren kann, die sich von der typisch menschlichen Form erheblich unterscheiden. So haben Lanier et al. bereits in den 1980ern zahlreiche Versuche durchgeführt, die zu erstaunlichen Erkenntnissen führten. Überraschend ist z. B., wie schnell man lernt, mit einer zusätzlichen Gliedmaße wie etwa einem Schwanz oder einem dritten menschlichen Arm umzugehen.
Diese Zusammenhänge werden in unserem Projekt mit den heutigen technischen Mitteln erkundet und durch die Umsetzung in der Game-Engine Unity erlebbar gemacht. Aufbauend auf den Forschungsergebnissen von Lanier et al. haben wir drei verschiedene spielbare, nicht-menschliche Avatare prototypisch entwickelt:
„Myself“
ist ein aus der Landschaft bestehender Avatar: Der Spieler steuert mit seinem Körper die virtuelle Umgebung. Dabei handelt es sich um eine wüstenartige, hügelige Ebene mit Felsen im Hintergrund und einem Kristallmonument im Zentrum. Zu Beginn befindet sich der Spieler mit Blick auf seinen Landschaftskörper unter einem Baum stehend, den er mit der Drehung seines Kopfes bewegen kann. Per Teleporting kann er sich durch die Umgebung frei bewegen. Mit den Händen hebt und senkt er die Hügel, durch An- und Abspannen der Wandenmuskel verändert er die Größe der Felsen. Außerdem kann er einen Partikelstoß aus dem Kristallmonument auslösen und die Sonne rotieren, also die Tageszeit ändern.
„Me“
ist ein Avatar mit zwar menschlichem Körper, aber zusätzlichen Gliedmaßen: einem zusätzlichen Arm, der aus dem Bauch nach vorne ragt und den man mit leichter Kopfbewegung steuert, und einem Schwanz, den man per Hüftschwung navigiert. Zu Spielbeginn steht man zunächst neben dem Avatar und kann ihn von außen betrachten. Dann schlüpft man in den Avatar hinein und kann sich mit seinem neuen Spiegelbild in den umliegenden reflektierenden Kristallen identifizieren. Und schließlich kann man seine Extragliedmaßen trainieren, indem man etwa mit dem Schwanz eine Würfelpyramide destruiert oder mit der dritten Hand ein dreidimensionales Kristallpuzzle löst.
„My Avatars“
ist ein aus mehreren Körpern bestehender Avatar, mit dem man gleich zwei Körper steuert. In einer nächtlichen Umgebung zwischen Kristallen unterm Mondschein wird dem Spieler ein zweiter Avatar gegenüber gestellt, der sich spiegelverkehrt zum eigenen Körper verhält und mit dem man gegen sich selbst (Fuß-)Ballspielen kann. Beide Körper bestehen aus leuchtenden Partikeln und ziehen mit ihren Bewegungen Partikelspuren nach sich.
Ponyboy
Aus unserer Zusammenarbeit ist außerdem die Konzeption und Planung eines vierten Avatars entstanden, dessen Entwicklung wir uns als Fernziel gesetzt haben. Dieser „Ponyboy“ genannte Avatar besitzt den Körperbau eines Pferdes, soll aber aufrechten Standes (biped) gesteuert werden. Eine so alternative Steuerung übersteigt die intuitive Vorstellungskraft von realem Körper und virtueller Bewegung an Komplexität und soll unser Projekt eines Tages als „Bonuslevel“ ergänzen.
Fazit und Aussicht
Unsere Zielsetzung, die prototypische Anlegung von drei Avataren mit ihren jeweiligen Eigenschaften, haben wir erfüllt und sind sehr zufrieden mit dem, was wir in den vier Wochen Residenzzeit erreichen konnten. Mit den Forschungsergebnissen und Erfahrungen, die wir an der Schaubude sammeln konnten, sowie der dazugehörigen detaillierten Dokumentation sind wir nun auf einem soliden Stand, von dem aus wir gerne in die konkrete Umsetzung gehen möchten. Mit unseren Prototypen im Gepäck beantragen wir zuversichtlich Fördermittel für diese finale Realisierung von „Me, myself & my avatars (or remapping the homunculus)“.
Wir danken der Schaubude Berlin für die großartige Möglichkeit, die uns mit dieser Forschungsresidenz gegeben wurde. ❤️